Auf was es bei der Unternehmensnachfolge ankommt
In der Pflegebranche steht ein Generationswechsel an. Viele Inhaber, die ihr Unternehmen über Jahrzehnte aufgebaut haben, denken über eine Übergabe nach. Doch der Weg zu einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge ist komplex. In einem Gastbeitrag für Care vor9 umreißt Ben Keller von der Beratungsgesellschaft Amberger Consulting, worauf es ankommt und wie sich Verkäufer auf den Prozess vorbereiten sollten.

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Steigende Löhne, eine angespannte Wirtschaftslage und zunehmende regulatorische Anforderungen stellen sowohl den Verkäufer als auch potenzielle Nachfolger vor große Herausforderungen. Ein strategisches und gut vorbereitetes Vorgehen ist daher entscheidend.
Richtiger Zeitpunkt nicht nur eine Frage des Gefühls
Die Entscheidung, ein Unternehmen an einen Nachfolger zu übergeben, ist ein einschneidender Schritt und sollte nicht nur von persönlichen Motiven geleitet sein. Vielmehr ergibt sich der ideale Verkaufszeitpunkt aus dem Zusammenspiel interner und externer Faktoren.
Intern steht die wirtschaftliche und strukturelle Verfassung des Unternehmens im Mittelpunkt. Sind die Kennzahlen stabil? Gibt es belastbare Strukturen, die auch ohne den Inhaber überlebensfähig sind? Eine zu starke Inhaberzentrierung kann den Unternehmenswert deutlich mindern. Wer frühzeitig Führungsstrukturen aufbaut, Prozesse dokumentiert und Mitarbeiter gezielt einbindet, verbessert nicht nur die operative Leistungsfähigkeit, sondern auch die Attraktivität für Käufer.
Externe Markt- und Rahmenbedingungen beeinflussen die Erfolgsaussichten eines Unternehmensverkaufs maßgeblich. Die Zinspolitik, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie die Entwicklung der Gesundheits- und Pflegebranche haben direkten Einfluss auf die Finanzierungsfähigkeit und Investitionsbereitschaft potenzieller Käufer. Auch der demografische Wandel und die digitale Transformation spielen eine Rolle. Sie schaffen sowohl neue Potenziale als auch Unsicherheiten, die sich auf die Unternehmensbewertung auswirken können.
Unternehmensbewertung Basis für Entscheidungen
Eine realistische und nachvollziehbare Unternehmensbewertung ist die Grundlage jeder erfolgreichen Nachfolge. Sie schafft Transparenz und verhindert unrealistische Preisvorstellungen – auf beiden Seiten. Externe Bewertungsverfahren berücksichtigen neben der aktuellen Ertragssituation auch zukünftige Entwicklungspotenziale, Risiken und branchenspezifische Besonderheiten. Eine objektive Bewertung ermöglicht einen sachlichen Einstieg in die Verhandlungen und stärkt das Vertrauen potenzieller Käufer.
Die Einbindung erfahrener Berater ist dabei oft von großem Vorteil. Sie bringen nicht nur ihre fachliche Expertise ein, sondern sorgen auch für einen strukturierten und lösungsorientierten Ablauf – von der Erstellung aussagekräftiger Unterlagen über die gezielte Käufersuche bis hin zur Begleitung der Gespräche und Verhandlungen über den Kaufvertragsabschluss hinaus.
Transparenz schaffen als Erfolgsfaktor
Ein zentraler Bestandteil des Verkaufsprozesses ist die sogenannte "Due Diligence". In dieser Phase nehmen potenzielle Käufer das Unternehmen genau unter die Lupe: wirtschaftlich, rechtlich und steuerlich. Ziel ist es, mögliche Risiken für den Käufer frühzeitig zu erkennen.
Eine professionelle und strukturierte Aufbereitung aller relevanten Informationen ist unerlässlich. Unvollständige oder widersprüchliche Daten führen nicht selten zu Verzögerungen, Nachverhandlungen oder sogar zum Abbruch der Gespräche. Wer Transparenz schafft und mögliche Schwachstellen offen kommuniziert, stärkt das Vertrauen auf Käuferseite und erhöht die Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss.
"Distressed M&A" oder Chancen in schwierigen Situationen
In wirtschaftlich unsicheren Zeiten gewinnen sogenannte Distressed M&A-Prozesse an Bedeutung. Dabei handelt es sich um Unternehmensverkäufe unter besonderen Bedingungen, etwa bei drohender Insolvenz, Sanierung in Eigenverwaltung oder im Rahmen einer Regelinsolvenz. Für Investoren können sich hier attraktive Einstiegsmöglichkeiten ergeben, da Unternehmen mit Sanierungspotenzial günstiger zu erwerben sind.
Gleichzeitig steigt der Wettbewerbsdruck auf gesunde Pflegeunternehmen. Die größere Auswahl an zum Verkauf stehenden Unternehmen kann zu einem Preisdruck führen, dem sich auch solide aufgestellte Pflegeanbieter stellen müssen. Für verkaufsbereite Inhaber bedeutet dies: Eine klare Positionierung und eine überzeugende Darstellung der Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens sind wichtiger denn je.
Integration ein oft unterschätzte Erfolgsfaktor
Ist der Verkauf eines Pflegeunternehmens abgeschlossen, beginnt eine für den langfristigen Erfolg entscheidende Phase: die Integration. Hier zeigt sich, ob die Übergabe in der Praxis und nicht nur auf dem Papier funktioniert.
Integration ist mehr als die Übertragung von Verträgen und Strukturen. Sie betrifft die Unternehmenskultur, die Mitarbeiterbindung und die Kommunikation mit Kunden und Partnern. Wer diesen Schritt strategisch vorbereitet und professionell begleitet, schafft ein stabiles Fundament für eine erfolgreiche Zukunft auch unter neuer Führung.
Fazit: Klare Planung und erfahrene Begleitung zahlen sich aus
Die Unternehmensnachfolge in der Pflege ist anspruchsvoll, aber mit der richtigen Vorbereitung gut zu bewältigen. Entscheidend ist, frühzeitig eine strategische Perspektive zu entwickeln, realistische Erwartungen zu formulieren und sich erfahrene Unterstützung zu sichern.
Eine erfolgreiche Übergabe gelingt dann, wenn das Unternehmen während des Prozesses stabil bleibt, Mitarbeiter und Kunden Vertrauen behalten und der Käufer auf eine tragfähige, zukunftsorientierte Struktur aufbauen kann. Gerade in einem sensiblen Umfeld wie der Pflege ist Kontinuität ein zentrales Gut – für alle Beteiligten.
Über den Autor: Ben Keller gehört zur Geschäftsleitung der Unternehmensberatung Amberger Consulting mit Sitz in Düsseldorf und führt dort das operative Geschäft. Der Wirtschaftspsychologe ist Ansprechpartner für Fragen rund um den Kauf oder Verkauf von Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen. Keller hat sich zudem auf Unternehmenssanierung und Restrukturierung im Pflegebereich spezialisiert. Außerdem hat er in Marketing und Kommunikation für Unternehmen aus der Healthcare- und Pharmabranche gearbeitet.