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17. Juni 2025 | 07:00 Uhr
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Mit Factoring unabhängig vom Zahlungsverhalten der Kassen

Factoring wird in der Pflegebranche noch sehr selten genutzt, sagte der Chef des Unternehmens Sozialfactoring Andreas Dehlzeit kürzlich in einem Interview gegenüber Care vor9. Im zweiten Teil des Interviews erklärt der Finanzexperte deshalb, wie Factoring funktioniert, wodurch es sich von Inkasso unterscheidet und warum es gerade für Altenpflegeunternehmen interessant sein kann.

Andreas Dehlzeit ist Sprecher der Geschäftsführung der Sozialbank-Schwestergesellschaft Sozialfactoring

Care vor9: Herr Dehlzeit, Sie sagten kürzlich gegenüber Care vor9, Factoring sei in der Altenpflege wenig bekannt. Darf ich Sie deshalb bitten, es kurz zu erklären?

Andreas Dehlzeit: Factoring in der Pflegebranche – oder auch Vorfinanzierung – bedeutet, dass Leistungserbringer ihre offenen Forderungen gegenüber den Pflege- oder Krankenkassen einem Factoring-Anbieter abtreten. Statt auf die Zahlungen der Kostenträger zu warten, machen sich Pflegedienste auf diesem Wege vom Zahlungsverhalten der Kranken- und Pflegekassen unabhängig und erhalten den Großteil des Betrags innerhalb weniger Werktage. Das sorgt für schnelle Liquidität und entlastet das interne Finanzmanagement.

Typischerweise läuft das so ab: Der Leistungserbringer erbringt die Pflegeleistung und dokumentiert sie – etwa über eine Pflegesoftware oder ein Abrechnungsmodul. Anschließend übermittelt er die Rechnungsdaten digital an den Factoring-Partner, meist direkt aus dem System heraus. Nach einer kurzen Prüfung kauft der Factoring-Dienstleister die Forderung an und innerhalb von ein bis zwei Werktagen zahlt er sie aus – in der Regel bis zu 100 Prozent abzüglich einer Gebühr.

Behält das Pflegeunternehmen dabei die Kontrolle über seine Zahlungsprozesse?    

Wichtig ist der Unterschied zwischen Selbst- und Vollabrechnung: Bei der Selbstabrechnung behalten die Pflegedienste alle Prozesse in der eigenen Hand – von der Abrechnung bis zur Kommunikation mit den Kassen. Diese Variante nutzen vor allem Betriebe, die ihre Abrechnungsqualität selbst steuern wollen und den direkten Draht zu den Kostenträgern schätzen.

Bei der Vollabrechnung hingegen übernimmt ein externer Dienstleister den gesamten Abrechnungsprozess inklusive Mahnwesen. Das kann organisatorisch entlasten, bedeutet aber auch, dass Unternehmen einen Teil der Kontrolle abgeben. Für manche ist genau das ein Vorteil – andere bevorzugen die Transparenz und Flexibilität, die mit der Selbstabrechnung einhergeht.

Warum ist Factoring für die Altenpflegebranche interessant?

Pflegedienste stehen heute vor der Herausforderung, unter immer komplexeren Bedingungen wirtschaftlich stabil zu bleiben. Steigende Lohnkosten, knappe Personalressourcen, zunehmende Dokumentationspflichten und der Bedarf an Investitionen in Technik und Infrastruktur erzeugen enormen Druck im Tagesgeschäft. Gleichzeitig sorgt das Zahlungsverhalten der Kranken- und Pflegekassen häufig für Unsicherheit bei der Liquiditätsplanung. Genau dieser Unsicherheit kann durch gezielte finanzielle Entlastung, in Form einer Vorfinanzierung, begegnet werden.

Factoring sorgt vor allem für gesicherte Liquidität – und das unabhängig davon, wie lange sich die Kassen mit ihren Zahlungen Zeit lassen. Die Realität ist doch: Zwischen Abrechnung und Geldeingang vergehen oft mehrere Wochen. Mit Factoring erhalten Leistungserbringer den Großteil des Rechnungsbetrags aber schon nach ein bis zwei Tagen. Das verschafft echte Planungssicherheit und finanzielle Flexibilität.

Würde Factoring auch im Falle von säumigen Sozialhilfeämtern helfen? 

Sozial-Factoring ist auf die Vorfinanzierung von Forderungen gegenüber Kranken- und Pflegekassen gemäß SGB V und XI spezialisiert. Unsere Prozesse und Risikobewertung sind darauf ausgerichtet, dass die Forderungen innerhalb eines Zeitraums von maximal 90 Tagen beglichen werden. Bei Sozialhilfeträgern ist diese Voraussetzung häufig nicht gegeben, was eine verlässliche Vorfinanzierung für uns erschwert.

Was genau ist der Unterschied zwischen Inkasso und Factoring?

Der Unterschied liegt vor allem im Zeitpunkt und im Ziel des jeweiligen Verfahrens. Factoring bedeutet, dass ein Pflegedienst seine offenen Forderungen vor Fälligkeit an einen Factoring-Anbieter abtritt – also direkt nach der Abrechnung. Der Dienstleister bekommt dann den Großteil des Rechnungsbetrags innerhalb weniger Werktage ausgezahlt, unabhängig davon, wann die Kassen tatsächlich zahlen.

Inkasso hingegen kommt erst dann ins Spiel, wenn eine Rechnung nicht rechtzeitig beglichen wurde. In diesem Fall wird die Forderung an ein Inkassounternehmen übergeben, das versucht, das Geld nachträglich einzufordern. Es geht also nicht um Vorfinanzierung, sondern um den Einzug überfälliger Zahlungen.

Kurz gesagt: Factoring ist präventiv und hilft, finanzielle Engpässe gar nicht erst entstehen zu lassen. Inkasso ist reaktiv – es greift, wenn die Zahlung ausgeblieben ist. Es werden also unterschiedliche Ziele verfolgt. In der Pflegebranche ist Factoring deshalb so interessant, weil es nicht erst bei Problemen greift, sondern vorher für Stabilität sorgt.

Wie sehr wird Factoring im Gesundheitswesen genutzt?

Factoring hat sich im Gesundheitswesen in den letzten Jahren fest etabliert – und die Bedeutung wächst weiter. Laut aktuellem Branchenbericht des Deutschen Factoring-Verbands gehört das Gesundheitswesen inzwischen zu den umsatzstärksten Anwendungsfeldern überhaupt. Im Jahr 2024 lag der Anteil bei 16,4 Prozent des gesamten Factoring-Volumens – das ist Platz zwei unter allen Branchen. Im Vorjahr waren es noch 15 Prozent, also ein klarer Anstieg.

Unter Berücksichtigung angrenzender Bereiche wie Health und Life Sciences, entfallen sogar rund 22 Prozent des Gesamtumsatzes auf das Gesundheitswesen. Das zeigt: Factoring ist in der Branche längst kein Nischenthema mehr – sondern ein strategisches Finanzierungsinstrument, das sich bewährt hat. Natürlich gibt es Unterschiede je nach Sektor – die ambulante Pflege tickt anders als etwa die Medizintechnik oder der Klinikbereich. Aber insgesamt sehen wir eine wachsende Offenheit für flexible Liquiditätslösungen – gerade in einem Umfeld, das finanziell unter Druck steht.

Das Interview führte Kirsten Gaede

Hier geht's zum ersten Teil des Interviews mit Andreas Dehlzeit "Nur wenige Pflegeanbieter sichern Liquidität mit Factoring"   

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