Warum betreutes Wohnen für Betreiber immer attraktiver wird
Einen solchen Rekord hat es in der Altenpflegebranche schon lange nicht mehr gegeben: Die Immobilienverkäufe im Segment Betreutes Wohnen erreichten im ersten Quartal dieses Jahres ein Volumen von 138 Millionen Euro – ein Plus von 166 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ein entscheidender Grund: Betreutes Wohnen wird zunehmend auch für Pflegebedürftige und nicht nur für noch rüstige Senioren interessant.

Specht Gruppe
Eine betreute Wohnanlage wie hier in Stuhr nahe Bremen sieht mehr nach einem normalen Wohnhaus aus als ein Pflegeheim
Hilfe bei Inkontinenz durch Blasenschwäche und Übergewicht
Übergewicht ist in Deutschland weit verbreitet: Rund 54 Prozent der Erwachsenen sind betroffen, einschließlich Adipositas. Besonders ältere Menschen leiden häufiger darunter. Ein zu hohes Körpergewicht belastet den Beckenboden und kann zu Blasenschwäche führen. Etwa 3,4 Millionen Menschen in Deutschland kämpfen mit Adipositas und begleitender Urin-Inkontinenz, was häufig zu sozialer Isolation und noch mehr Gewicht führt. Mehr erfahren
Den deutlichen Trend hin zum betreuten Wohnen im ersten Quartal dieses Jahres haben vor wenigen Tagen die beiden Immobiliendienstleister CBRE und JLL bestätigt. Das Wachstum ist enorm, aber beileibe nicht unerwartet.
"Aktuell werden mehr neue Plätze für betreutes Wohnen geschaffen, als es im klassisch stationären Bereich der Fall ist. Das belegen auch unterschiedliche Erhebungen", sagt Isabell Halletz, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Pflege (AGVP), der kürzlich eine "Deutschlandkarte Heimsterben" herausgegeben hat. "Ein Grund ist, dass Menschen gern im eigenen Zuhause versorgt werden möchten, und dazu zählt auch das betreute Wohnen als eine Form der häuslichen, aber altersgerechten Versorgung."
Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) bezeichnet das betreute Wohnen in seiner Studie "Betreutes Seniorenwohnen" von 2022 sogar als "zukunftsweisendes altersgerechtes Wohnangebot", das selbstständiges Wohnen mit modular wählbaren Leistungen kombiniere. Die Leistungen können sehr weit gehen: Es beginnt mit dem Servicemodell mit Freizeitangeboten und kleinen technischen Alltagshilfen und reicht über das Betreuungsmodell mit Notruf und zeitlich begrenzten Pflegeleistungen bis hin zum Verbundmodell mit umfassenden Pflegeleistungen und einer 24-Stunden-Betreuung.
Immer mehr Anbieter spezialisieren sich auf betreutes Wohnen
Es ist das vom KDA sogenannte Verbundmodell, das zunehmend im Trend liegt. Allein seit Anfang dieses Monats hat Care vor9 über die Eröffnung von rund einem halben Dutzend betreuten Wohnanlagen mit Rund-um-die-Uhr-Pflegedienst berichtet, darunter ein Pflegequartier in Biesenthal bei Berlin und ein Wohnpark in Wefensleben nahe Magdeburg des Pflegeanbieters Humanas.
Humanas zählt zu den Pflegeunternehmen, die sich ganz auf die Kombination von betreutem Wohnen, ambulanter Pflege und oft dazu noch Tagespflege konzentrieren. So auch das junge Unternehmen Brina, das vor rund zwei Wochen eine betreute Anlage mit 203 Wohnungen in Osnabrück eröffnet hat. Im Interview mit Care vor9 sagte der Brina-Geschäftsführer und gelernte Altenpfleger Can Chory im Herbst vorigen Jahres: "Bei Brina können Senioren sogar mit Pflegegrad 4 oder 5 einziehen. Die Hälfte unserer Bewohner kommt aus der akuten Pflegebedürftigkeit, sie können sich etwa nach einem Schenkelhalsbruch nicht mehr selbst versorgen."
Wie pflegebedürftig dürfen die Bewohner sein?
Halletz sieht die Betreuung von Senioren mit Pflegegrad 5 skeptisch: "Pflegegrad 5 bedeutet 'schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen für die pflegerische Versorgung'. Ohne eine bestens verzahnte Rund-um-Versorgung im Betreuten Wohnen, beispielsweise durch das Zusatzangebot von Tages- und Nachtpflege, oder auch Verhinderungspflege, wenn die Versorgung teilweise durch Angehörige erfolgt, ist das kaum möglich, um nicht ernsthafte gesundheitliche Folgen zu verursachen. Denn die Krankheitsbilder und komplexen pflegerischen Bedarfe sind im Pflegegrad 5 sehr hoch."
Mancher Anbieter ist deshalb vielleicht auch etwas zurückhaltender, wie Rolf Specht, geschäftsführender Gesellschafter der Bremer Specht Gruppe: Er sprach gegenüber Care vor9 von Pflegegrad 3, eventuell auch 4.
Warum das betreute Wohnen für Pflegeunternehmen interessant ist, ist in der Branche hinlänglich bekannt: Die Wohnform ist baulich und personell weniger reglementiert als das klassische Pflegeheim, auch ist die Finanzierung in mancher Hinsicht vorteilhafter, weil etwa die Behandlungspflege nicht pauschaliert, sondern dem Pflegedienst extra vergütet wird. Trotzdem gibt Halletz zu bedenken: Auch die ambulanten Dienste seien vom Fachkräftemangel betroffen und darauf angewiesen, "von den Pflegekassen auskömmlich finanziert zu werden".
Kirsten Gaede